"Dienen will ich"

Einer seiner berühmtesten Sätze lautet: "Was will ich? Dienen will ich. Wen will ich dienen? Dem Herrn in seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist daß ich dienen darf."

Kindheit und Jugend

Am 21. Februar 1808 wird in der Königstrasse 27 von Fürth Wilhelm Löhe geboren. Der Vater Johann Löhe ist Spezerei- und Großsalzhändler und stammt aus einer alteingesessenen Fürther Familie. Die Mutter Maria Barbara Löhe, geborenen Walthelm bringt die Spezereihandlung in die Ehe mit ein. Der Vater ist zudem Stadtrat und Hauptmann der Bürgergarde. Er wird als stattlicher Mann geschildert.

Wilhelm Löhe wächst in einer Schar von Geschwistern auf. Seine Kindheit verläuft aber nicht unbeschwert. Seine kleine Schwester Sabine stirbt im Alter von 14 Monaten, als Wilhelm sieben Jahre alt ist, seine älteste Schwester Anna leidet an epileptischen Anfällen.Und der Schock ist groß als der Vater im Alter von 52 Jahren an einer Hirnhautentzündung stirbt. Wilhelm ist erst acht Jahre alt. Die Mutter stammt aus einer frommen Familie und plant schon früh, den Sohn Wilhelm Theologie studieren zu lassen. Dazu braucht er die entsprechende Ausbildung. Mit neun Jahren besucht er die Lateinschule. Wilhelm ist unter seinen Mitschülern nicht akzeptiert, weil er sich nicht an Streichen beteiligt, sondern sie zu verhindern sucht. Er ist zart und schmal. Turnunterricht ist seine Stärke nicht. Er kämpft sich aber durch und rückt sogar an die Spitze der Klasse. Er kann auf das Gymnasium übertreten.

Zuvor aber, zwischen Ostern und Pfingsten 1821 findet der Konfirmandenunterricht statt. Er dauert täglich drei Stunden und wird von den drei Pfarrern von St. Michael erteilt. Wilhelm ist sehr eifrig, v. a. beim Besuch der Gottesdienste. Das Abendmahl ist ihm „große Feier und Freude“, an dem er zum ersten Mal an Pfingsten – eine Woche nach der Konfirmation in St. Michael – teilnehmen darf. Die Erinnerung an die „empfundene Seligkeit“ wird er sein ganzes Leben lang behalten.

(Oliver Schürle)

Studium in Erlangen und neuer Missionsverein

Schon als Kind weiß Wilhelm Löhe, was er werden will: Mit grossen Erwartungen beginnt er am 5. November 1826 sein Studium in Erlangen. Er ist ungeheuer zielstrebig und wissensdurstig und richtet sich nach einem minutiös ausgearbeiteten Wochenplan. Die Vergnügungen der anderen Studenten interessieren ihn nicht.

In der Anfangszeit des Studiums steht er schwere innere Kämpfe durch. Er möchte so gerne ein "rechter Glaubensprediger" werden, fragt sich aber, ob er dazu würdig und berufen ist. In diesem inneren Zwiespalt werden ihm die Professoren Christian Krafft und Karl von Raumer zu geistlichen Wegweisern. Krafft spricht vor den Studenten offen von seinen persönlichen Erfahrungen mit Gott. Beide gehören zu dem Erlanger Kreis der sogenannten "Erweckungsbewegung", die zu der Zeit als Gegengewicht zu dem allgemein verbreiteten Realismus entsteht. Und beide bekennen ihr Christentum nicht nur in Worten, sondern auch mit der Tat.

Löhe ist begeistert von ihrem Erziehungsinstitut für arme Knaben und vom Missionsverein zur Unterstützung der Basler Mission. Mit neunzehn Jahren gründet er in Fürth selbst eien Missionsverein, der mit den Verkaufserlös von Handarbeiten und Spenden die Basler Mission unterstützt.Seine Wahlsprüche Lauten:"Tun wir nicht viel, so tun wir doch etwas! Tun wir nur kleines, sein Segen kann´s zu Großem machen! Sind wir unser auch eine kleine Zahl - Er ist doch in unserer Mitte!"

(Ulrike Wildner)

Der erste Kanzelauftritt bereitete Zahnschmerzen

Die ersten Gehversuche Löhes als Prediger fanden im jugendlichen Alter von 20 Jahren in der Poppenreuther Kirche St. Peter und Paul statt. Seine erste Predigt hielt Wilhelm Löhe nämlich schon als Student der Theologie. Allerdings ist von ihm auch bekannt, dass er nicht gerade ein Freund häufigen Predigen während der Studienzeit war. Er selbst bestieg die Kanzel in der Ausbildung eben nur so oft, als es ihm nötig erschien – also wahrscheinlich eher selten....

Für seinen ersten Kanzelauftritt war St. Peter und Paul in Poppenreuth auserkoren. Vor 180 Jahren, am Sonntag nach Weihnachten 1828, sollte es soweit sein. Als Predigttext stand der 8. Vers aus dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes mit den Worten „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ an, ein Abschnitt, der in unserer Zeit eher an Silvester gepredigt wird. Wilhelm Löhe bereitete sich gewissenhaft auf seinen ersten Auftritt vor und begann mit der Vorbereitung und dem Studium des Textes bereits drei Wochen vorher.

Die Predigt selbst ist leider nicht überliefert. Dafür wissen wir noch etwas über die Begleitumstände. Und diese waren nicht gerade rosig. So wird festgehalten, dass Wilhelm Löhe an jenem Tag unter heftigen Zahnschmerzen litt. Doch der Predigtauftritt geschah „ohne Stocken, noch Angst bei stiller Versammlung“, wie der Chronist vermerkt.

Heute trägt das abstrakt gestaltete, verkürzte Chorfenster an der Südseite neben der Kanzel in der Poppenreuther Kirche den Hebräerbrief als Titel.

(Christian Schmidt-Scheer)

Wilhelm Löhe als "Kirchenpolitiker" in Neuendettelsau

Nach seinem Studium kam Wilhelm Löhe 1837 nach Neuendettelsau und wurde während dieser Zeit kirchenpolitisch aktiv. In seiner Gemeinde legte er besonderen Wert auf Predigt, Seelsorge und Unterricht. Er schrieb auch Bücher, sein bedeutendstes Werk trägt den Titel "Drei Bücher von der Kirche", in dem Löhe der lutherischen Kirche die Funktion der einigenden Mitte der Konfession zuweist. Weiter war es ein besonderes Anliegen Löhes, altlutherische Liturgien in den Gottesdienst mit einzubauen. Nach 1848 machte sich Löhe besondere Gedanken um die Entwicklung in der Kirche. Er war der Meinung, die Gemeinden sollten sich nach dem Vorbild der frühen apostolischen Kirchen organisieren. Er versuchte einen "lutherischen Verein für apostolisches Leben" zu gründen. Dieser Versuch scheiterte jedoch.

Löhe versuchte auch über Freunde auf die bayerische Landessynode Einfluss zu nehmen und veröffentlichte Schriften zum Thema Kirche und Amt. Das Streben Löhes in seinem kirchenpolitischen Engagement zeigte, wie wichtig die Neugestaltung von Lehre, Verfassung und Leben der Kirche war. Er wollte eine bischöflich-brüderliche lutherische Kirche, die auch der Erweckung dienen sollte. Da er aber seine Meinung und Vorstellung nicht ganz durchsetzen konnte, überlegte er zeitweisse sogar, die Kirche zu verlassen.

In diesem Lebensabschnitt hatte Wilhelm Löhe Probleme mit der Öffentlichkeit, dies führte zu Spannungen. Er sah die Bibel als einzige Richtlinie und stand auch mit Ernst zu dieser Meinung, so dass er von Gegnern in die Nähe des Chiliasmus bzw. Millenarismus(der Glauben an die Wiederkunft Jesu Christi und das Aufrichten seines tausend Jahre währenden Reichs) gebracht wurde und als "katholisch" bezeichnet wurde, weil er unter anderem eine Krankenölung durchgeführt hatte und sich auf Jakobus 5,14 berief. 1860 weigerte er sich einen Geschiedenen zu trauen, was zu seiner Suspendierung führte. Er wurde jedoch wieder eingesetzt und arbeitete bis zu seinem Tode. Wilhelm Löhe hat mit seinen Schriften und seinem Wirken einen grossen Einfluss ausgeübt. Die Gründung des Diakonissenmutterhauses in Neuendettelsau und der Ausbildungsstätte für Missionare haben Löhe einen bleibenden Namen geschaffen. Als "Kirchenpolitiker" hat Löhe viel für die Landeskirche getan, auch wenn er zeitlebens mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Ihm und seiner Arbeit ist es auch zu verdanken, dass sich die bayerische Landeskirche seit 1853 evangelisch-lutherisch nennt.

Löhes theologisches und diakonisches Konzept

Wilhelm Löhes diakonisches Konzept ging von seinem Glauben aus. Im Mittelpunkt seines Lebens stand die Verbindung zu Gott, symbolisiert durch das Abendmahl. Nach Löhes Meinung konnte Diakonie und Mission nur vom Atltar ausgehen. Dabei war es ihm wichtig zu zeigen, dass äussere Mission immer mit innerer Mission verbunden sein musste. Er nahm die christliche Nächstenliebe als Vorbild. Durch diese sollte der evangelische Glaube für wahr genommen und angenommen werden. Löhes theologische Ansichten und sein diakonischer Unternehmungsgeist brachten ihn aber nicht nur Freunde. Nicht in allen klerikalen und politischen Kreisenwaren die Ansichten und Massnahmen Löhes geschätzt. Seine unbequemen Anmerkungen in kirchenpolitischen Themen, seine eindringlich christliche Auslegung von Diakonie und Innerer Mission wurden von Kritikern oft skeptisch zweifelnd kommentiert. Aber Löhe liess sich von seinen Kritikern nicht aufhalten und ging seinen theologischen Weg.

Für Löhe war das "Ausleben" des Christseins und ein spirituelles Leben wichtig. Seine theologischen Aufgaben in der Gemeinde nahm er mit Pflichtgefühl wahr, wobei die Beichte und das Heilige Abendmahl im Fokus seiner Aktivitäten stand. Richtungs weisend für die Kirche war auch der "Schmuck der Heiligen Orte", Löhes Schrift über Paramentik(Gestaltung liturgischer Kleider und gottesdienstlicher Textilien).

Löhe legte sein Amt mit einem intensiven Bezug zu Seelsorge und Spiritualität aus. Durch seinen Tatendrang und seine Ideen verwirklichte Löhe in Neuendettelsau sein diakonisches Konzept. Er legt das Fundement für soziales Handeln aus dem evangelischen Glauben heraus. Sein Ideal war es, durch die aktive Hilfe an den Menschen diese wieder für den evangelischen Glauben zu gewinnen. Die lutherische Kirche ist dabei die einigende "Mitte der Konfessionen". Löhe wndte sich gegen einen Unionismus in der Evangelischen Kirche; er unterschied stark zwischen reformiert und lutherisch.

(Michael Babel)

Löhes Verständnis von der "Inneren Mission"

Löhes Verständnis von Mission änderte sich während seiner Tätigkeit als Pfarrer in Neuendettelsau. Am Anfang wollte er dem traditionellen Verständnis nach das Evangelium in die Welt hinaustragen - dahin, wo es den Heiden noch nicht gepredigt worden war. Jedoch scheiterten seine Bemühungen, einen bayerischen Missionsverein zu gründen, jedes Mal.1840 eröffnete sich plötzlich eine neue missionarische Perspektive.. Ein Freund erzählte Löhe von einem Missionsverein in Stade, der sich um die lutherischen deutschen Auswanderer in Nordamerika kümmerte. Für die 1200 lutherischen Gemeinden gab es nur 400 Pfarrer. Hilfe aus Deutsch-land war dringend nötig. Löhe fühlte sich sofort angesprochen und fing an, Spenden zu sammeln.

Grosse Geldsummen kamen zusammen. Zwei Handwerker meldeten sich, um als Prediger nach Nordamerika zu gehen. Löhe verschaffte den beiden Zöglingen Unterkunft in Neuendettelsau und unterrichtete sie ein Jahr lang, damit sie mit theologischen und seelsorgerlichen Grundkenntnissen nach Amerika gehen konnten. Dort sollten sie am lutherischen Seminary in Columbus; Ohio weiter als Pfarrer ausgebildet werden. Neben der Ausbildung konnten diese "Missionare" ihren eigenen Landsleuten das Evangelium predigen und Kindern Religionsunterricht erteilen. Diese Missionsarbeit wurde in Neuendettelsau weiter ausgebaut, und Löhes "Nothelfer" wurden in Amerika dankbar angenommen.

Für diese Wende in seinem Verständnis von Mission übernahm er den Begriff "Innere Mission". Damit meinte er die Arbeit unter getauften Christen, die in Gefahr stehen, ihren Glauben wieder zu verlieren. Löhe war überzeugt:"Innere Mission führt uns zu der äußeren!".

(Allison Hoenen)

Die Kraft der Nächstenliebe

Wilhelm Löhe wurde mittenhinein in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs geboren. Seine Vaterstadt Fürth entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer boomenden Industriestadt, der "Stadt der tausend Schlote" wie Jakob Wassermann formuliert hat.Das bedeutete nicht nur eine rasante Entwicklung, sondern aufgrund des starken Bevölkerungswachstums auch gravierende Probleme wie Massenarmut, Kinderverwahrlosung und Obdachlosigkeit.

Andernorts war es kaum besser und aus der sozialen Notsituation heraus entstanden die Anfänge der Diakonie.Wilhelm Löhe, der später als Pfarrer in Neuendettelsau wirkte, und Pfarrer Johann Hinrich Wichern in Hamburg wurden zu zentralen Figuren der diakonischen Bewegung in Deutschland. Sie regten die Gründung zahlreicher sozialer Einrichtungen an- vom Kinderheim bis zum Krankenhaus. Für diese Arbeit brauchte es Fachleute und so wurden in den neu entstandenen "Diakonissenanstalten" Krankenpflegerinnen und Erzieherinnen ausgebildet. Damit ist der Anfang qualifizierter sozialer Arbeit markiert und zugleich ein wichtiger Schritt zur Entwicklung weiblicher Berufstätigkeit und Emanzipation.

Aus den Anfängen ist in 200 Jahren ein riesiges Netzwerk diakonischer Einrichtungen entstanden, das bundesweit 436.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt.

(Ute Baumann)

Die Gründung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau

Nach dem Vorbild der Phöbe, die im Römerbrief als "im Dienst der Gemeinde von Kechrä" gegrüsst wird, stellte sich Löhe vor, dass man Frauen zu "biblischen Diakonissen" ausbilden sollte, da sie die Gaben haben, sich der Kranken und Elenden mehr als andere anzunehmen. Das lebende Beispiel einer solchen Diakonisse war für ihn die Witwe Anna Marie Meyerin im nahe gelegenen Dorf Bechhofen. Sie war an fast jedem Krankenbett anzufinden, kümmerte sich um die Pflege und redete von Gottes Wort.

1854 gründete Löhe die Diakonissenanstalt Neuendettelsau, in der junge Frauen eine umfassende Ausbildung in der Krankenpflege, im Haushalt und in der Seelsorge erjielten. Damals endeten Frauen, die nicht verheiratet waren, in der Regel als alte "Jungfer" und hatten keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Nun kamen sie genauso wie ihre verheirateten Geschlechtsgenossinnen unter die "Haube" - nämlich die, die zu der Diakonissentracht gehörte - und konnten für sich selbst sorgen.

Sie hatten ein reiches Betätigungsfeld, waren doch die Zustände in den Spitälern oft erbärmlich, auch um Kleinkinder und Schwachsinnige wurdee sich viel gekümmert. Durch den Einsatz der Diakonissen verbesserten sich endlich die sozialen Bedingungen der damaligen Zeit. Heut gehören nur noch 133 Diakonissen alter Prägung zur Diakonie Neuendettelsau - 127 von ihnen sind im Ruhestand - aber mehr als 6000 Menschen setzen sich dort weiter im Geiste Wilhelm Löhes ein.

(Edith Nikolajsen)

Das Löhe Bild im Wandel der Zeiten

Die Lexikoneinträge zu Löhe sind in den letzten 130 Jahren ständig kürzer geworden, da in dieser Zeit so viele neue Technikbegriffe entstanden sind. Gegenläufig entwickelte sich das Internetlexikon Wikipedia, das Löhes Leben und Werk ausführlich erläutert – bei stetiger Erweiterung der Einträge. Sind also die alten Lexika nicht mehr nachschlagenswert?. „Weniger ist mehr“, könnte die Antwort heißen. Einer der Wikipedia-Autoren beklagt, dass Wissen heute zu leicht verfügbar sei und die Benutzer nicht mehr dazu verführe, selbst weiter zu suchen.

Schlagen wir die „Alten“ auf: Meyers Konversationslexikon von 1874 spricht von Löhe als einen hervorragenden Theologen und Führer des restaurierten Luthertums. Es rühmt ihn als Sendboten für Nordamerika und lobt seine literarische Tätigkeit.

Meyers Lexikon von 1924 preist Löhe als den Vertreter eines hochgespannten Kirchen- und Amtsbegriffes. Es empfiehlt seine Bücher, etwa „Rosenmonate heiliger Frauen“ und „Von der weiblichen Einfalt“.

Der Große Brockhaus von 1980 dagegen spricht von Löhe als Klassiker der evangelischen Diakonie, da er der Gründer der Missionsanstalt Neuendettelsau ist. Seine Auffassung wird hier als „Mitte zwischen den Konfessionen“ bezeichnet.

Die wenigen Eintragszeilen der alten Nachschlagewerke wollen den Benutzer zum Selbstforschen anspornen und ihm den unvergleichlichen Genuss eines „Aha-Effektes“ bereiten.

(Irmgard Oltmanns)